Inhaltliche Qualitätssicherung: Dr. rer. nat. Till Schumacher (Apotheker)
Schätzungen zufolge leiden zwischen einem und drei Prozent der europäischen Bevölkerung an einer Histaminintoleranz. In den meisten Fällen tritt sie erst in der zweiten Lebenshälfte auf. Frauen sind deutlich häufiger betroffen als Männer.
Betroffene reagieren auf den Verzehr bestimmter Lebensmittel mit diversen Beschwerden. Da die Symptome oft relativ unspezifisch sind und es bisher keine eindeutigen Diagnostizierverfahren gibt, wird die Unverträglichkeit in vielen Fällen erst sehr spät oder gar nicht erkannt.
Bei Verzicht auf beschwerdeauslösende Lebensmittel lassen die Symptome in den meisten Fällen innerhalb kurzer Zeit nach. Wenn der Verdacht auf eine Histaminintoleranz besteht, sollten Betroffene demnach eine Ernährungsumstellung vornehmen.
Histaminintoleranz: Was ist das?
Eine Histaminintoleranz beziehungsweise Histaminose liegt dann vor, wenn der Körper auf erhöhte Mengen an Histamin mit Unverträglichkeitssymptomen reagiert. Obwohl die Symptome denen einer Allergie ähneln, handelt es sich nicht um eine Allergie im klassischen Sinne. Aus diesem Grund wird die Unverträglichkeit auch als Pseudoallergie bezeichnet.
Bei einer Histaminintoleranz befindet sich das Verhältnis zwischen dem Abbau und der Zufuhr beziehungsweise der Produktion von Histamin im Ungleichgewicht. Bei Überschreiten einer gewissen Menge im Körper reagieren Betroffene mit diversen Unverträglichkeitsreaktionen. Die Höhe dieser Toleranzmenge variiert von Person zu Person.
Was ist Histamin?
Bei Histamin handelt es sich um ein sogenanntes biogenes Amin, das natürlicherweise im menschlichen Organismus vorkommt. Es wird in verschiedenen Zellen wie den Nervenzellen, Blutplättchen und Mastzellen aus der Aminosäure Histidin gebildet und gespeichert.
Histamin wird im Körper durch verschiedene Reize, beispielsweise durch körpereigene Enzyme oder aufgenommene Nahrungsmittel und Medikamente freigesetzt. Daneben können physikalische Reize wie Verletzungen oder Entzündungen die Ausschüttung anregen.
Im Körper übt Histamin als biologischer Botenstoff zahlreiche Funktionen aus. In erster Linie ist es für die Vermittlung von Entzündungsprozessen bei allergischen Reaktionen, also für das Auslösen von Allergie-Symptomen verantwortlich. Daneben ist es an der Erweiterung der Blutgefäße und damit auch der Senkung des Blutdrucks sowie der Anregung der Magensaftsekretion beteiligt. Als Neurotransmitter reguliert Histamin zudem den Schlaf-Wach-Rhythmus, das Gedächtnis, die Emotionen und die Appetitkontrolle.
Histaminintoleranz: Ursachen
Bis heute gilt das Krankheitsbild der Histaminintoleranz als umstritten. Auch ihre genauen Ursachen konnten bisher nicht eindeutig geklärt werden. Zudem besteht Uneinigkeit darüber, ob die Unverträglichkeit angeboren ist oder erst im Laufe des Lebens erworben wird.
Die moderne Medizin geht davon aus, dass die Intoleranz meist aus einer erworbenen, in selteneren Fällen angeborenen Störung im Abbau von Histamin resultiert. Durch den verringerten Abbau kann es im Körper der Betroffenen sowohl durch die körpereigene Produktion als auch durch die Aufnahme histaminhaltiger Nahrung zu einem Überschuss kommen. Sobald der individuelle Histamin-Grenzwert überschritten wird, empfindet die betroffene Person Beschwerden.
Für den Abbau von Histamin sind die Enzyme Histamin-N-Methyltransferase (HNMT) und Diaminooxidase (DAO) verantwortlich. Falls diese in zu geringen Mengen vorhanden sind, kommt es zu einem Anstieg des Histaminspiegels. Die Produktion dieser Enzyme kann durch diverse Faktoren beeinträchtigt werden, darunter genetische Defekte, eine Schädigung der Darmzellen oder die Einnahme bestimmter Nahrungs- und Genussmittel.
Diese Faktoren können eine Histaminintoleranz beeinflussen:
- Hormonelle Einflüsse
- Erkrankungen wie Morbus Crohn und Zöliakie
- Durchlässigkeit der Darmschleimhaut
- Ungleichgewicht der Darmbakterien
- Stoffwechselstörungen
- Körperliche und psychische Belastung
- Ungesunde Ernährungsweise
- Alkoholkonsum
Histaminintoleranz: Symptome
Da Histamin an zahlreichen diversen Körperfunktionen beteiligt ist, kann eine Intoleranz sehr vielfältige Symptome hervorrufen und unterschiedliche Organsysteme betreffen. Zahlreiche Zellen im Körper besitzen Rezeptoren für Histamin – darunter Nervenzellen, Drüsenzellen, Zellen des Immunsystems und glatte Muskelzellen. Letztere befinden sich beispielsweise in der Magen- und Darmwand, der Gebärmutter, den Blutgefäßwänden und den Bronchien.
Histamin bindet sich an Rezeptoren und entfaltet dort seine Wirkung. Bei einer erhöhten Menge im Körper kommt es zu einer gesteigerten Aktivierung der entsprechenden Rezeptoren und dadurch gegebenenfalls zu körperlichen Beeinträchtigungen. Während einige Betroffene nur unter einzelnen Symptomen leiden, äußert sich die Unverträglichkeit bei anderen Personen durch diverse Beschwerden in mehreren Körperregionen.
Als typisches Symptom einer Histaminunverträglichkeit gelten Kopfschmerzen und Migräne. Da ein Großteil der Betroffenen über zyklische Kopfschmerzen klagt, gelten diese als Leitsymptom. Daneben treten häufig Beschwerden auf, die den Verdauungstrakt, die Atemwege, die Haut und das Herz-Kreislauf-System betreffen.
Die Symptome können nicht nur in ihrer Art, sondern auch in ihrer Dauer und Intensität stark variieren. Sie können wenige Minuten, aber auch erst mehrere Stunden nach dem Verzehr histaminreicher Lebensmittel auftreten.
Im Rahmen einer Histaminintoleranz können beispielsweise folgende Symptome auftreten:
- Kopfschmerzen und Migräne
- Schwindel
- Verdauungsbeschwerden wie Durchfall, Bauchschmerzen, Verstopfung und Blähungen
- Übelkeit und Erbrechen
- Hautprobleme wie Rötungen (Flush), Nesselsucht und Juckreiz
- Atemprobleme
- Fließschnupfen, verstopfte Nase, verstärktes Niesen
- Kreislaufbeschwerden
- Niedriger Blutdruck
- Herzrasen
Histaminintoleranz: Diagnose
Leider gibt es bis heute kein eindeutiges Diagnoseverfahren zum Nachweis einer Histaminintoleranz. Zudem wird die Diagnose von der Tatsache erschwert, dass die vielfältigen Symptome recht unspezifisch sind und im Zusammenhang mit zahlreichen weiteren Erkrankungen auftreten können.
Die Diagnose erfolgt zunächst über eine umfassende Anamnese sowie das systematische Ausschließen anderer Erkrankungen, die ähnliche Beschwerden hervorrufen. Dazu gehören neben Nahrungsmittelallergien insbesondere Zöliakie, Reizdarm-Syndrom, Colitis ulcerosa und Krebs. Sobald das Vorliegen dieser Krankheiten ausgeschlossen wurde, erfolgt die eigentliche Diagnostik durch systematisches Weglassen verdächtiger Nahrungsmittel über einen längeren Zeitraum. Im Anschluss erfolgt eine Provokation durch gezielten Verzehr dieser Nahrungsmittel und die Beobachtung der körperlichen Reaktion.
Während des langwierigen Prozesses der Diagnostizierung hilft ein Ernährungsprotokoll dabei, symptomauslösende Nahrungsmittel zu identifizieren. Treten die Beschwerden nach dem Verzehr eines bestimmten Lebensmittels wiederholt auf, kann von einer Intoleranz ausgegangen werden. Ein Ernährungstagebuch kann zudem bei der Ermittlung der individuellen Toleranzschwelle behilflich sein.
Histaminintoleranz: Lebensmittel
Zahlreiche Lebensmittel enthalten Histamin. Die Höhe des Histamingehalts hängt nicht nur von der Art des Nahrungsmittels, sondern auch von weiteren Faktoren ab. Durch Verarbeitung, Lagerung und Reifungsprozesse kann dieser im Laufe der Zeit ansteigen. Aus diesem Grund ist es häufig kaum möglich, genau zu beurteilen, wie hoch die Menge an Histamin in einer Mahlzeit tatsächlich ist.
Personen, die unter einer Histaminintoleranz leiden, sollten bei der Zusammenstellung ihres Speiseplans also besonders aufmerksam sein. Bei der Ernährungsumstellung und der Aufstellung eines Plans kann ein Ernährungsmediziner behilflich sein. Wenn histaminreiche Produkte vermieden und einige weitere Faktoren beachtet werden, können die meisten Betroffenen ein weitestgehend beschwerdefreies Leben führen.
Histaminintoleranz: Histaminreiche Lebensmittel
Da sich der Histamingehalt in Lebensmitteln durch Reifung, mikrobielle Zersetzung und Fermentation erhöht, sind reife oder fermentierte Lebensmittel grundsätzlich besonders reich an Histamin. Dazu gehören:
- Milchprodukte wie Joghurt, Buttermilch und saure Sahne
- Lang gereifter Käse
- Nicht frische oder geräucherte Fleisch- und Wurstwaren
- Nicht fangfrischer (oder fangfrisch tiefgekühlter) Fisch
- Innereien, insbesondere Leber
- Sauerkraut und andere milchsauer vergorene Lebensmittel wie Essiggurken
- Einige Obst- und Gemüsesorten wie Aubergine, Tomaten, Avocado und Spinat
- Pilze
- Gegorene Flüssigkeiten wie Essig und Sojasauce
- Hefe (auch in Backwaren)
- Rotwein und Champagner aus roten Trauben
Neben histaminreichen Nahrungsmitteln gibt es Produkte, die zwar kein Histamin enthalten, aber eine Ausschüttung dessen fördern. Sogenannte Histaminliberatoren befinden sich unter anderem in:
- Obstsorten wie Erdbeeren, Zitrusfrüchte, Ananas, Kiwis und Pflaumen
- Walnüsse und Haselnüsse
- Meeresfrüchte wie Tintenfische und Muscheln
- Champignons
- Kakao und Schokolade
- Zusatzstoffe, Konservierungsstoffe und Geschmacksverstärker
- Gelatine
Daneben gibt es Nahrungsmittel, die zu einer Hemmung des Enzyms Diaminoxidase beitragen. Da dieses für den Abbau von Histamin verantwortlich ist, sollten Betroffene den Verzehr dieser Produkte ebenfalls vermeiden:
- Alkoholische Getränke
- Kaffee
- Kakao und Schokolade
- Schwarzer und grüner Tee
- Ananas, Papaya,
- Nüsse, darunter Muskatnuss
- Energydrinks
- Farbstoffe und künstliche Zusatzstoffe wie Glutamat
Histaminintoleranz: Histaminarme Lebensmittel
Personen, die unter einer Histaminintoleranz leiden, sollten grundsätzlich bevorzugt auf frische und unverarbeitete Lebensmittel zurückgreifen. Die meisten Obst- und Gemüsesorten können ohne Bedenken verzehrt werden. Verderbliche Lebensmittel wie Fleisch, Fisch und Milchprodukte sollten nach Möglichkeit frisch verspeist werden. Dies bedeutet, dass die Kühlkette möglichst nicht unterbrochen werden sollte – denn bereits nach einigen Minuten bei Raumtemperatur kommt es gegebenenfalls zur Bildung von Histamin.
Zu den histaminarmen Lebensmittel zählen:
- Kohlsorten wie Brokkoli, Blumenkohl, Rotkohl und Grünkohl
- Kürbisgewächse wie Kürbis, Zucchini und Gurke
- Wurzelgemüse wie Karotte, Sellerie, Pastinake, Radieschen, Rote Beete, Zwiebel, Süßkartoffel und Kartoffel
- Salat (außer Rukola)
- Weitere Gemüsesorten wie Paprika, Spargel, Lauch und Rhabarber
- Beeren wie Heidelbeere, Brombeere, Johannisbeere, Stachelbeere, Preiselbeere, Jostabeere, Cranberry und Weintraube
- Steinobst wie Kirsche, Mango, Nektarine, Pfirsich, Dattel und Aprikose
- Weitere Obstsorten wie Apfel, Granatapfel, Litschi, Kaki und Melone
- Getreide wie Weizen, Gerste, Dinkel, Hafer, Mais, Hirse und Reis (Backwaren nur ohne Hefe und Sauerteig)
- Quinoa
- Nüsse wie Kokosnuss, Macadamia, Mandel, Paranuss, Pistazie und Esskastanie
- Samen und Körner wie Sesam, Kürbiskerne und Leinsamen
- Speiseöle (außer Walnussöl)
- Frisches, unverarbeitetes Fleisch
- Fangfrischer Fisch
- Frischmilchprodukte und Rohmilch
- Pasteurisierte Milch
- Milchprodukte wie Süßrahm-Butter, Crème fraîche, Frischkäse, Sahne, Hüttenkäse und Quark
- Nicht gereifte Käsesorten wie junger Gouda und Mozzarella
- Frische Eier
Fazit
Bei einer Histaminintoleranz besteht ein Ungleichgewicht zwischen dem Abbau und der Aufnahme beziehungsweise Produktion von Histamin. In Folge kommt es zu Beschwerden, die verschiedene Körperfunktionen und Organe betreffen können.
Da die Symptome oft eher unspezifisch sind und es bisher kein eindeutiges Diagnoseverfahren gibt, wird die Unverträglichkeit nicht immer erkannt. Die einzige Möglichkeit, eine Histaminintoleranz zu diagnostizieren, besteht in einer schrittweisen Ernährungsumstellung und einer genauen Beobachtung der körperlichen Reaktionen.
Histamin befindet sich insbesondere in gereiften, fermentierten und verarbeiteten Lebensmitteln. Allgemein lässt sich feststellen, dass der Histamingehalt eines Nahrungsmittels zunimmt, je reifer dieses ist. Während junger Käse beispielsweise histaminarm ist, weist reifer Käse große Mengen davon auf. Personen, die unter einer Unverträglichkeit leiden, sollten deshalb möglichst frische und unverarbeitete Produkte verzehren.